eine ausführliche Darstellung der Geschichte des Strophanthins mit vielen historischen Details finden Sie in dem Buch 'Strophanthin - die wahre Geschichte'
1859 – 1948
Der englische Botaniker Kirk hat 1859 durch die nachlässige Verwendung einer mit Strophanthus Samen verunreinigten Zahnbürste die schnell einsetzende Herzwirkung von Strophanthusglykosiden entdeckt. Ausgehend von dieser Zufallsentdeckung entwickelte der schottische Pharmakologe Thomas Fraser auf Basis von Strophanthus einen alkoholischen Extrakt, die „Tinctura strophanthia“, die zunächst in England bald aber auch in Frankreich und Deutschland zur Behandlungen von Herzerkrankungen eingesetzt wurde. Es wurden Extrakte verschiedener Strophanthus-Arten eingesetzt, welche unterschiedliche Glykoside mit chemisch verwandter Struktur enthielten. Fraser hatte für seine Strophanthus Studien Extrakte von Strophanthus hispidus verwendet [1]. Zum therapeutische Einsatz kamen jedoch bevorzugt Strophanthus kombé mit dem Glykosid k-Strophanthin und Strophanthus gratus mit dem Glykosid g-Strophanthin. 1888 isolierte der französische Chemiker Arnaud aus Strophanthus gratus den reinen Wirkstoff g- Strophanthin. Dieses ist später auch aus dem in Afrika beheimateten Baum Acokanthera ouabaio isoliert und als „Ouabain“ bezeichnet worden. In der englischsprachigen Literatur hat sich heute „Ouabain“ als die international gebräuchliche Bezeichnung durchgesetzt. In der deutschsprachigen Literatur wurde noch bis in die 1970er Jahre die Bezeichnung g-Strophanthin beibehalten. Ab 1904 stand eine von E. Merck, Darmstadt und Boehringer Mannheim vermarktete standardisierte Lösung des reinen Wirkstoffs zur Verfügung: „g-Strophanthin Thoms“. Diese Ouabain-Lösung wurde sowohl intravenös [17] als auch oral verabreicht in der Therapie von Herzerkrankungen eingesetzt. 1909 führte der fanzösichsche Arzt und Kardiologe Henri Vaquez die iv-Applikation von g-Strophanthin in Frankreich ein [15a, 15b]. In einigen Kliniken der Vereinigten Staaten sind diese „französischen Präparate“ ebenfalls zur Behandlungen von Herzkrankheiten eingesetzt worden [18].
In Zusammenarbeit mit dem Internisten Albert Fraenkel brachte das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim 1906 eine iv-Formulierung des k-Strophanthin unter dem Handelsnamen Kombetin in den Markt. Ein wirtschaftlicher Erfolg dieses Produktes stellte sich nur verzögert ein. Selbst 20 Jahre nach Markteinführung wurden mit dem Kombetin Jahresumsätze von „nur einigen Hundert Mark“ erzielt [2]. Erst als Ernst Edens, Universität Düsseldorf, aufgrund systematischer Untersuchungen die Sicherheit der intravenösen Applikation von Strophanthin nachgewiesen und den Einsatz auf Angina pectoris und auf die Vorbeugung und Behandlung akuter Herzinfarkte erweitert hatte, wurde sie verstärkt in Kliniken und auch in der ärztlichen Praxis eingesetzt. 1914 wurde Albert Fraenkel durch Verleihung der Professur „dafür geehrt, daß er die unkontrollierbare orale Strophanthintherapie in die qualitative Digitalisanwendung nach pharmakologischen Grundsätzen überführte.“ [12].
1934 veröffentlichte Edens erstmalig seine Erfahrungen mit Strophanthin in der Behandlung von Angina Pectoris [16]. Hierin bezeichnet er „die intravenöse Strophanthinbehandlung als die sicherste Behandlung der organisch bedingten Angina pectoris einschließlich des Herzinfarktes“. Aschenbrenner rühmte die Erfolge Edens mit der Strophanthinbehandlung als „Großtat der Inneren Medizin, vergleichbar der Insulinentdeckung“. Besonders hervorgehoben wurden die Vorteile gegenüber Digitalis. Edens selber war überzeugt: „Die Zeit wird kommen, in der man die Unterlassung der rechtzeitigen Strophanthinbehandlung, als Kunstfehler verurteilen werde“ [3].
Bereits 1901 hatte Ludwig von Krehl, in dessen Klinik Albert Fraenkel seine Studien mit der iv-Applikation von Strophanthin durchgeführt hatte, die „oft ausgezeichneten Erfolge“ mit dem „vortrefflichen, vorzüglich geeigneten oralen Strophanthin“ gepriesen. Der Heidelberger Pharmakologe Eichholtz bezeichnete 1947 in seinem Lehrbuch den Einsatz von Strophanthin „als schlechthin den größten Fortschritt in der Herztherapie nach Withering 1785“. Hierbei ist anzumerken, dass bis in die 1950er Jahre hinein in wissenschaftlichen und klinischen Berichten häufig nicht differenziert wurde, welches Strophanthin, k- oder g, zum Einsatz kam. Der Begriff „Strophanthin“ wurde aufgrund weitgehend identischer Wirkungen der Strophanthusglykoside [14] sowohl für k- als auch für g-Strophanthin verwendet.
1949 – 1970, „Strophoralstreit“
Für die orale Strophanthintherapie sind vor allem Strophanthus Extrakte und Lösungen von reinem g-Strophanthin/Ouabain eingesetzt worden. Beide Lösungen zeitigten bei starken Nebenwirkungen nur unzuverlässige Therapieerfolge. Es hat wiederholt Versuche gegeben, die Wirksamkeit oraler Darreichungsformen zu verbessern. Bereits in den 1920 Jahren war g-Strophanthin/Ouabain auch in Tablettenform verfügbar gewesen [4,5]. 1949 brachte Boehringer Mannheim „zahlreichen und sehr nachdrücklichen Wünschen aus der ärztlichen Praxis folgend“ [6] eine neue, als Tablette formulierte Version von g-Strophanthin für die sublinguale Applikation unter dem Namen „Strophoral“ heraus und war „überrascht, schon kurz nach der Einführung feststellen zu können, dass das Interesse für ein solches Präparat ungewöhnlich groß war“.
Für Boehringer ebenso überraschend wie der kommerzielle Erfolg des Strophoral und seine hohe Akzeptanz bei den Ärzten „war aber das literarische Echo, das das Präparat in der pharmakologischen und klinischen Literatur fand. Man hat geradezu von einem „Strophoral-Streit“ gesprochen.“ [6]. In der klinischen Praxis sind mit der Anwendung von Strophoral sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden, welche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Wirkungen hervorriefen. In der Folge wurden zahlreiche weitere Ouabain haltige Präparate für die orale Anwendung von mehreren mittelständischen Firmen ausgeboten, welche sich durch verbesserte und zuverlässige Wirksamkeiten auszeichneten. Die Datenbank des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information verzeichnet mehr als 20 oral zu verabreichende Ouabain Präparate, die nach 1950 in Deutschland eingesetzt worden sind. Von besonderer Bedeutung waren die „Purostrophan Dragees“ der Firma Kali Chemie und das „Strophoperm“ der Permicutan KG. Die Purostrophan-Dragees waren Magensaft-resistente Tabletten von Strophanthin mit dem Zusatz von Natriumlaurylsulfat. Das Strophoperm war eine Lösung von Ouabain mit Zusatz von Permeationsbeschleunigern für die sublinguale Applikation. Mit beiden Präparaten sind bei deutlich geringerer Dosierung als die für das Strophoral nötigen zuverlässige Therapieerfolge erzielt worden. Die Tagesdosis von Strophoral betrug häufig 20 – 30 mg Ouabain [19], für die Purostrophan-Dragees waren 2 – 6 mg pro Tag [20] ausreichend. Die Tagesdosis von Strophoperm lag mit 0,5 – 1 mg Ouabain [21] in der Größenordnung der Tagesdosis des iv-applizierten Ouabain.
Parallel zur Ausbietung des Strophoral wurden im Nachkriegsdeutschland aus Amerika und England kommende neue Digitalispräparate eingeführt. Die neuen Digitalispräparate enthielten reine Wirkstoffe und ersetzten die bis dahin verwandten Extrakte und getrockneten Blätter von Digitalisarten. Diese Präparate wurden als „modern“ und „fortschrittlich“ eingeschätzt während Strophanthuspräparate fortan als „alte“ und „deutsche“ Präparate stigmatisiert wurden. Der wissenschaftliche Streit konzentrierte sich auf die Frage, ob mit den neuen Digitalispräparaten gleich gute oder gar bessere Wirkungen zu erzielen sind wie mit den Strophanthus Präparaten. Einen breiten Raum nahm dabei die Frage ein, ob Strophanthus Präparate oral verabreicht ausreichend bioverfügbar sind. Während von den Digitalispräparaten hohe Bioverfügbarkeiten nachgewiesen werden konnten (Digitoxin > 90 Prozent, Digoxin > 60 Prozent) wurden für Ouabain Bioverfügbarkeiten von 2 Prozent [8] bis 15 Prozent [9] ermittelt. Die von Edens formulierte Erkenntnis „jedes Herz braucht seine eigene Strophanthin Dosis“ [3] gemäß derer für jeden Patienten die individuelle Dosis per Titration zu ermitteln ist – ein heute für viele Medikamente übliches Vorgehen („die Patienten werden auf das Medikament eingestellt“) - wurde von den Befürwortern der Digitalistherapie und Kritikern der Strophanthustherapie als Beleg für schwankende Resorptionsquoten des Ouabain ausgelegt. Wie die hohe Zahl der Nachfolgeprodukte zu Strophoral ausweist hat der wissenschaftliche „Strophoral-Streit“ der Akzeptanz des Strophanthins bei den praktischen Ärzten und damit der praktischen Anwendung zunächst kaum geschadet. Anfang der 1970er Jahre wurden mehr als 99 Prozent der Welt-Strophanthin-Produktion oral konsumiert [7].
1971 - 1975, Heidelberger Tribunal
Boehringer Mannheim hatte das Strophoral in Kooperation mit dem Stuttgarter Internisten Berthold Kern entwickelt. Kern hatte sich in seinen Arbeiten um eine systematische Einordnung von Herzerkrankungen bemüht. Seine Differenzierung zwischen Links- und Rechtsmyokard bedingten Herzerkrankungen, welche heute allgemein akzeptiert ist, war zu seiner Zeit Neuland und wurde in der Wissenschaft vorerst nur mit Skepsis aufgenommen. Kern hatte in seiner Praxis zudem beobachtet, dass Strophanthin das Mittel der Wahl ist bei Linksmyokard bedingten Herzerkrankungen, womit er die Erkenntnisse Edens nicht nur bestätigen sondern auch konzeptionell untermauern konnte. Besonders intensiv beschäftigte sich Kern mit der Frage nach der Entstehung des Herzinfarkt. Er vertrat die Auffassung, dass Herzinfarkte nicht koronar sondern myokardial bedingt sind. Seine Erkenntnisse und Ansichten publizierte er 1951 in dem Buch „Die orale Strophanthin-Behandlung“ [10].
In den 1960er Jahren erreichte das „Cholesterin-Fieber“ einen ersten Höhepunkt. Cholesterinreiche Ernährung wurde für einen erhöhten Cholesterinspiegel verantwortlich gemacht der zu Arteriosklerose und damit vermittels Durchblutungsstörungen zu Herzinsuffizienz und Herzinfarkt führt. Dieses Dogma ist bis heute nach wie vor Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Ende der 1960er Jahre bemächtigte sich der Leiter der Wissenschaftsredaktion der Zeitschrift „Bunte Illustrierte“, Peter Schmidsberger, dieses Themas. Zuvor hatte Schmidsberger bereits mit Artikeln über Wundermittel zur Krebsbehandlung für Aufsehen gesorgt. Weitere Zeitschriften, der Rundfunk und schließlich auch das Fernsehen berichteten über Schmidsbergers Kampagne.
In seiner Artikelserie mit provozierenden Schlagzeilen unterstellte er den Ärzten durch ihr Festhalten an falschen Theorien zur Entstehung von Herzinfarkt wissentlich den Tod von Patienten durch Falschbehandlung in Kauf zu nehmen. Als Kronzeugen für seine Anschuldigungen benutzte er Berthold Kern. Die Wissenschaftsorganisationen reagierten mit geharnischten Stellungnahmen. Kern wurde zu einer öffentlichen Anhörung in Gegenwart von Presse, Rundfunk und Fernsehen nach Heidelberg in das Restaurant Molkenkur am 19. November 1971 zitiert. Nach einer Tribunal-artigen Sitzung wurden Kerns Ansichten zur Entstehung von Herzinfarkt verworfen. “Die anwesenden Wissenschaftler sind der Auffassung, daß es unverantwortlich ist, wenn die Thesen des Herrn Dr. Kern in der Öffentlichkeit weiterverbreitet werden, bevor durch eine prospektive, kontrollierte Untersuchung ihr Wahrheitsgehalt hinreichend nachgewiesen ist.” [11] Seriöse Zeitschriften (SPIEGEL „Hungernde Herzen“, ZEIT „Kein Infarkt für „Bunte“-Leser“) übernahmen dieses Urteil. Auch wenn der eigentliche Streit der Bedeutung von Arteriosklerose für die Entstehung von Herzinfarkt gegolten hatte wurde das Ouabain in die Verdammung der Kern’schen Thesen mit einbezogen. Nach dem Heidelberger Tribunal galt das Ouabain in der deutschen Medizin offiziell als geächtet. Es sei giftig, nicht bioverfügbar und damit für die Behandlung von Herzerkrankungen nicht geeignet. Umsatz und Marktpotential reduzierten sich erheblich. Noch heute ist das Heidelberger-Tribunal Ausgangspunkt für vielfach kolportierte obskure Verschwörungstheorien.
H. Christophersen zitiert in seinem Buch „Der Schlüssel zur Infarktverhütung“ einen namentlich nicht genannten Forschungsleiter eines großen Pharmakonzerns, welcher die Situation des Ouabain nach dem Heidelberger-Tribunal treffend charakterisiert: „Wir würden das g-Strophanthin sofort ganz groß heraus bringen, wenn wir dabei den wirklichen Namen verschweigen könnten. Der Name Strophanthin ist in den letzten Jahrzehnten zu sehr diskreditiert worden. Erst wenn eine Rehabilitation des g-Strophanthins in der ganzen Welt erfolgt ist, können wir unseren Standpunkt ändern.“ [13].
1976 – 2012
1961 ist in Deutschland als Auflage der Römischen EU-Verträge ein Arzneimittelgesetz erlassen worden. Es regelte zunächst nur die Registrierung von Stoffen „deren Wirksamkeit nicht "allgemein bekannt“" war. Als Reaktion auf den Contergan-Skandal wurde das Arzneimittelgesetz 1976 verschärft. Seither müssen für alle Medikamente Sicherheit und Wirksamkeit durch entsprechende Studien nachgewiesen werden. Arzneimittel, die bereits vor 1978 im Markt waren wurden als „fiktiv zugelassen“ eingestuft. Die Hersteller erhielten die Auflage, innerhalb einer großzügig bemessenen Übergangsfrist von 12 Jahren durch entsprechende Studien Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte nachzuweisen (Nachzulassung). Die Umsetzung dieser gesetzlichen Auflagen wurde generös gehandhabt. 1997 war eine Vielzahl von Nachzulassungen noch nicht abgeschlossen. Die „fiktiven Zulassungen“ wurden bis Ende 2004 verlängert. Die EU-Kommission strengte daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik an. In dem Verfahren verpflichtete sich die Bundesregierung, die Bearbeitung der Nachzulassungsanträge bis Ende 2005 abzuschließen.
Die Auflagen des Arzneimittelgesetzes galten ebenso wie für alle anderen Alt-Arzneimittel auch für die im Handel befindlichen Ouabain-Präparate. Nahezu alle Hersteller von Ouabain-Produkten waren mittelständische Unternehmen, die sich nicht in der Lage sahen, die geforderten Studien zu finanzieren. Hinzu kam, dass mit der Einführung von Betablockern und ACE-Hemmer durch internationale Pharmakonzerne eine neue Konkurrenz erwachsen war, derer sich die kleineren Unternehmen nicht erwähren konnten. Von den vielen Unternehmen, die in den 1950er bis in die 1970er Jahre Ouabain angeboten haben, existiert heute keines mehr. Bis 1990 waren fast alle Ouabain-Präparate vom Markt genommen worden. Das Strodival der Firma Herbert Arzneimittel GmbH wurde als einziges Produkt noch angeboten. Herbert Arzneimittel GmbH ist dann von der Brahms Arzneimittel AG übernommen worden, welche 2003 von dem schwedischen Generikahersteller Meda aufgekauft worden ist. Auch Meda hat keine der für eine Nachzulassung von Strodival notwendigen Studien durchgeführt. Ende 2005 drohte die fiktive Zulassung für Strodival auszulaufen. Eine Gruppe von Ärzten, Heilpraktikern und Patienten intervenierte beim Bundesgesundheitsministerium und den im Bundestag vertretenen Parteien mit dem Ziel, eine Fristverlängerung zu erreichen. Das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) verlängerte daraufhin in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium letztmalig die fiktive Zulassung von Strodival mit der Auflage, erforderliche Studien zu Sicherheit und Wirkung des Produktes bis Juli 2011 vorzulegen. Meda hat die geforderten Daten nicht vorgelegt. Am 15. Juli 2011 hat das BfArM die fiktive Zulassung von Strodival deshalb zurückgezogen. Meda hat die bereits produzierten Strodivalvorräte noch verkaufen dürfen und den Vertrieb dann offiziell zum 1. August 2012 eingestellt. Seither gibt es in Deutschland ebenso wie in keinem anderen Land kein marktfähiges Ouabain-Präparat mehr.
Die klinische Wirksamkeit von Ouabain bei der Behandlung von Herzerschwäche ist durch Jahrzehnte lange praktische Erfahrung gut dokumentiert. Offen ist, wie gut die Wirksamkeit im Vergleich zur derzeitigen Standardtherapie mit Betablockern und ACE-Hemmern ist. Vergleichende klinische Studien gibt es nicht. Diese Frage kann deshalb nur durch entsprechende Studien geklärt werden.
Endogenes Ouabain
1991 ist Ouabain als vermeintliche körpereigene Substanz identifiziert worden [22]. Ouabain ist in der Folge nachgewiesen worden in Rindernebennieren, im Hypothalamus, in der Hypophyse und Nebennierentumoren. Der Nachweis von endogenem Ouabain ist in der Mehrzahl aller Arbeiten mit Hilfe von spezifischen Antikörpern (Immuno-Assays) erbracht worden. Diese Ergebnisse haben sich mit chromatographisch-spektroskopischen Verfahren nicht verifizieren lassen [23]. Eine kritische Analyse der analytischen Methoden, welche bei der Isolierung und Identifizierung von endogenem Ouabain eingesetzt worden sind kommt zu dem Schluss, dass es keine belastbaren Hinweise auf die Existenz von endogenem Ouabain gibt [24].
Ungeachtet dieser Tatsache hat die Hypothese, dass Ouabain möglicherweise bei Säugetieren als körpereigene Substanz produziert wird und im Plasma zirkuliert, ein verstärktes Interesse an diesem Molekül geweckt. Die Rolle der Na, K-ATPase als Signalwandler offenbart eine neuartige Facette von Ouabain in der Regulation einer Vielzahl von Zellfunktionen, einschließlich Zellproliferation, Hypertrophie, Apoptose, Metabolismus und Mobilität. Die spezifischen physiologischen Funktionen von Ouabain sind Gegenstand intensiver Forschung. Es ist bemerkenswert, dass in nahezu allen aktuellen Arbeiten zu endogenem Ouabain kein Bezug genommen wird auf die langjährige Verwendung zur Therapie von Herzerkrankungen. Diese Geschichte des Ouabain ist in der Wissenschaft heute nahezu unbekannt.
Literatur
[1] Fraser ThR, The action and uses of digitalis and ist substitutes, with spezial reference to strophanthus hispidus, Brit Med J, 1885: 904 ff
[2] Berthold Kern, Der Myokardinfarkt, 3. Auflage, Haug Verlag, 1974, S. 152
[3] Ernst Edens, Die Digitalisbehandlung, Dritte Auflage, Verlag Urban&Schwarzenberg, 1948
[4] Samolewitz E, Klinische Erfahrungen mit Purostrophan, Medizinische Klinik, 1921, S. 1417 ff,
[5] Bellon E, L’action toni-cardiaque des comprimés d’Ouabaine (Die kardiotonische Wirkung der Ouabain-Tabletten), Thèse pour le Doctorat des Médecine, Paris, 1922
[6] C. F. Boehringer & Soehne G.m.b.H. (Hrsg.) Für und wider die orale Strophanthin-Therapie / Strophanthintherapie (Studienreihe Boehringer), Mannheim 1952, S. 5
[7] Berthold Kern, Der Myokardinfarkt, 3. Auflage, Haug Verlag, 1974, S. 166
[8] H.-P. Erdle, K.-D. Schultz, E. Wetzel, F. Gross, Resorption und Ausscheidung von g-Strophanthin nach intravenöser und perlingualer Gabe, Dtsch med Wochenschr 1979; 104: 976-979.
[9] Marchetti G V, Marzo A, de Ponti C, Scalvini A, Merlo L, Noseda V, Blood levels and tissue distribution of 3H-Ouabain administered per os: Arzneimittel-Forsch 1971;21: 1399 – 1403.
[10] Berthold Kern, Die orale Strophanthin-Behandlung, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 1951
[11] Journal of Molecular Medicine, 1972;50(6):343-346.
[12] Gillmann H, Stellungnahme zur peroralen Strophanthinprophylaxe des Herzinfarkt, Deutsches Ärzteblatt, 1971: 2929-2936.
[13] H. Christophersen, Der Schlüssel zur Infarktverhütung, Kindler Verlag GmbH, München, 1973, S. 113
[14] Pfeifer E, Über die Verträglichkeit und den Wirkungsunterschied von g- und k-Strophanthin. Scientia pharmaceutica, 1960;28:216–228
[15a] Vaquez H, Leconte, Les injections intraveneuses de strophanthine dans le traitement de l'insuffisance cardiaque, Bull. et mem. Soc. med d'hop, Paris, 1909, xvii, 662-679
[15b] Vaquez H, Lutembacher L. Ouabaine. Arch Mal Coeur 1917; 10: 197.
[16] E. Edens, Die Strophanthinbehandlung der Angina Pectoris. Münchn. Med. Wschr. 1934;37:1424 – 1427.
[17] Fleischmann P / Wjasmensky H, Über intravenöse Strophanthintherapie bei Verwendung von gratus - Strophanthinum crystallisatum Thoms, Deutsche Medizinische Wochenschrift - DMW
1909 Band 35, Heft 21, 918–921.
[18] Levine S A, The Potency of Some French Digitalis Preparations,
Boston Med Surg J 1920; 182:64-66.
[19] Halhuber M, Lantscherat T, Meusburger K. Zur Strophoraltherapie. Med Klin. 1954;36:1440-1443.
[20] Wiesend W, Über perorale Strophanthinbehandlung, besonders beim Altersherz. Münchener medizinische Wochenschrift, 1956; 98(26)26:900–904.
[21] Altmann K, Beitrag zur peroralen Strophanthintherapie. Medizinische Klinik (Munich) 1952;47(14):446–448.
[22] Hamlyn, J.M., Blaustein, M.P., Bova, S., DuCharme, D.W., Harris, D.W., Mandel, F., et al., 1991. Identification and characterization of a ouabain-like compound from human plasma. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 88, 6259–6263.
[23] Baecher S, et al, No endogenous ouabain is detectable in human plasma by ultra-sensitive UPLC-MS/MS, Clin Chim Acta. 2014 Feb 7;431C:87-92. doi: 10.1016/j.cca.2014.01.038
[24] Endogenous ouabain (EO)' in mammals: absence of valid experimental evidence. Researchgate December 2019. DOI: 10.13140/RG.2.2.10144.53765